Sonnenaufgang in Florenz Anfang der RenaissanceDie Meerschaumgeborene, bekannt auch als die Venus von BotticelliMehr über Die Meerschaumgeborene erfahrenDie Meerschaumgeborene. Das kurze, dramatische Leben der Simonetta Vespucci. Eine Novelletta.Die Meerschaumgeborene. Das kurze, dramatische Leben der Simonetta Vespucci. Eine Novelletta.davon erzählen kann.dass man nur atemberaubtwar so atemberaubend –Ihr kurzes, dramatisches LebenEr machte sie unsterblich.Botticelli war heimlich verliebt in sie.wurde zum Opfer florentinischer Machtpolitik.Die schönste Frau der FrührenaissanceFlorenz 1492
E-Book, Harcover und Taschenbuch „Die Meerschaumgeborene“

Die Meerschaumgeborene –
Das kurze, dramatische Leben der Simonetta Vespucci

Jeder kennt ihr Gesicht. Kaum einer ihren Namen. Millionen strömen jährlich in die Uffizien, um sie zu sehen – und ahnen nicht einmal: Sie hatte das Schicksal Marilyn Monroes zu Beginn der Renaissance. Sie starb an ihrer Schönheit, und weil nur einer ihre Seele sah: Botticelli.

Ab sofort als Taschenbuch, Hardcover und E-Paper erhältlich.

HEINZ-DIETER HERBIG
DIE MEERSCHAUMGEBORENE. Das kurze, dramatische Leben der Simonetta Vespucci.

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PREISE und ISBN:
Taschenbuch: 12,00 € | 978-3-384-19086-4
Hardcover: 27,00 € | 978-3-384-19087-1
E-Book: 3,99 € | 978-3-384-19088-8


Leseprobe „Die Meeschaumgeborene“. Das kurze, dramatische Leben der Simonetta Vespucci.

LESEPROBE

Lorenzo de’ Medici versucht Simonetta zu überzeugen, dass sie sich für Florenz opfern müsse.

6.

Dunkel war der Himmel über Florenz. Noch dunkler waren Lorenzos Pläne. Er nahm sich Simonetta in der kleinen Cappella dei Magi, der Dreikönigskapelle, vor – die mit ihrer geschnitzten und vergoldeten Decke und dem Boden aus Arabesken wie eine Perle in der Muschel des Medicipalazzos glänzte. Nicht nur Die Anbetung der Könige von Filippo Lippi, sondern das überwältigende Fresko Zug der Heiligen Drei Könige von Benezzo Gozzoli – wo die biblische Weihnachtsgeschichte (wie im Altarbild von Domenico Ghirlandaio) nach Florenz verlegt wurde und die Heiligen Drei Könige von der Toskana herab ins gelobte Land ritten, Cosimo, der Großvater, Lorenzo und Giuliano – all das stimmte Simonetta in eine ganz andere Lebenssphäre ein. Hier wird geglaubt. Hier wird gebetet. Hier entdeckt man, dass all die Finten und Finessen der Medici von Gott gesegnet sind. Hier berührt uns die Hand des Herrn.
Und hier klärte Lorenzo sie über ihre Lage auf, die zugleich die Lage von Florenz war. D. h. er spaltete ihr Gemüt in noch kleinere Teile. Er schnitt mit dem Seziermesser der Logik ihrer Unschuld auf. Er litt ja selber darunter und wusste zugleich: Das, was du fühlst, ist deine Seele, und wenn du gar nichts fühlst, dann hast du keine Seele. Aber du darfst nichts fühlen, wenn du planst.

„Was hast du mit Giuliano abgesprochen?“

Schon die Frage quälte ihn. Er musste sie opfern – nicht Neapels oder des dunklen Mönches, sondern seiner eigenen Eifersucht wegen.

Keine Antwort.

„Was hast du ihm versprochen?“

Schweigen.

„Liebst du ihn so sehr?“

Sie weinte.

„Dann beweise ihm, wie tief die Liebe gehen kann.“

„U…und w…wie?“

Jetzt war er plötzlich ruhig geworden, wie so oft, wenn’s brenzlig wird. Ja, er begann vor Grausamkeit die Worte zu genießen.

„Gebe dich einem Mann hin, den du hasst.“

Er hörte sie schon schneller atmen.

„Aber ich … hasse dich doch nicht! Wo denkst du hin!

Sie duzte ihn! Als hätte sie schon sein Niveau erreicht und könnte genauso schamlos kalkulieren. Da traten ihm die Tränen in die Augen.

„Ich spreche von Neapel.“

Erschrocken flogen ihre fein bemalten Wimpern hoch.

„Ich … soll …?“

„Du musst sogar …“ – und er legte ihr den Schlachtplan von Florenz dar, der ja damals oft nur ein Plan zur Vermeidung von Schlachten war. (Wobei er ihr den Plan dahinter freilich nicht verriet: Ich opfere dich, um mich vor dir zu retten.)

„Uns fehlt es nicht an Kettenkugeln, Hellebarden und Soldaten. Leonardo hat ja sogar geniale Kriegsmaschinen erfunden …“
… riesige Panzer mit zahlreichen Geschützen obenauf, die nach allen Richtungen feuern konnten und die man mit Kurbeln und Zahnrädern von innen vorwärts und rückwärts bewegen konnte; ein „Feuernder Mörser“, dessen Kugel kurz nach Abschuss explodierte und hunderte kleine Geschosse mit noch größerer Wucht auseinanderspritzen und wie ein Wasserschwall aus Metall die Feinde trafen – diese Waffen sind in Florenz nie gebaut worden …

„Ich weiß. Aber seine Flugzeuge fliegen nicht.“

„Und unsere Männer kämpfen nicht mehr hart genug. Der Wohlstand schwächt. Das ist erwiesen. Man stirbt nicht leicht, wenn man so gut gelebt hat. Und glaube mir, mein Kind: kein Schlachtfeld war je ehrenhaft gewesen.“

„Und deshalb muss ich mich jetzt opfern?“ – wie übrigens auch die Hurerei in florentinischen Kreisen genannt wurde; obgleich das schon sehr seltsam war: kaum eine Hochzeit entstand aus Liebe. Auch Lorenzo hatte aus rein profitablen Gründen seine Clarice geheiratet. Seine Kinder waren noch nicht einmal aus Wohlwollen gezeugt. 4.000 Goldflorin hatte Clarices Vater opfern müssen, um seine Tochter loszuwerden.

„Wenn sie über uns herfallen, werden alle Frauen und Kinder von Florenz geopfert“ – er beugte sich zu ihr nach vorn; aus seinen schwarz funkelnden Augen las sie seine Qual; das Habichthafte seines Blicks war plötzlich weich geworden – „Stell dich mit deiner Schönheit schützend vor uns! Sonst wird ganz Florenz …“

Sie weinte wieder.

„Ich weiß kein anderes Mittel, um ihn abzuhalten. Nur einmal! Das verspreche ich dir! Er wird dich weder heiraten noch als Geliebte nach Neapel verschleppen. Er wird …“

„… mich ‚durchschauen‘, wie es in der Bibel so schön heißt“, schluchzte sie mit merkwürdig bewegten Gefühlen; jetzt war die Kluft zwischen Geist und Seele so tief aufgerissen: die Schande lag zu nah beim Ruhm, und dass Macht stets skrupellos sein muss, das hatte ihr Lorenzo schon früher beigebracht, „und durchschauen, dass der ganze Aufwand gar nicht lohnt.“

Sie sah zu ihm herauf. Er sah zu ihr herab. Ihre Blicke kreuzten sich ein zweites Mal. Und etwas Heiliges betrat den Raum. In dieser Sekunde verschmolzen ihre Seelen, wie sie das öffentlich niemals wagen durften, ineinander. Beiden war, als beträten sie ganz kurz das Paradies. ‚Und was krieg ich dafür?’ fragte ihr Blick – die entscheidende Frage florentinischen Fühlens: Tausche alles! Macht gegen Liebe, Geld gegen Ehre. Simonetta fühlte sich so stark, weil Die Heiligen Drei Könige auf Gozzolis Meisterwerk ja auch nicht mit leeren Händen aus Fiesole herabgeritten kamen. Außerdem fühlte sie sich Lorenzo mit einem Mal so nah, als wären sie schon jetzt ein Paar. Er lächelte. Die Religion des späten 15. Jahrhunderts, der Handel, hatte sie gepackt. ‚Wenn du Florenz beschützt mit deiner Schönheit’, versprach sein Blick, ‚wirst du zur wahren Göttin von Florenz an meiner Seite sein …’

Sie erhob sich und sah mit ihrer abgemagerten Figur noch filigraner und feenhafter aus als in Botticellis Phantasie. „Aber riegele die Wiese am Arno so hermetisch ab, dass keiner unsere Schande stört. Und erkundige dich nach einem Mittel, das meinen Ekel unterdrückt.“

„Wann?“

„Solange Giuliano um sein Leben kämpft – aber nur unter einer Bedingung, Lorenzo: Keiner in Florenz darf je erfahren, was ich für dich tu. Ich tu’s ja nur für dich. Denn … denn ich liebe Giuliano von ganzem Herzen. Das weißt du. Aber dich liebe ich mit meinem ganzen Verstand. Vielleicht wird mein Verstand nach dieser Schande etwas größer sein. Vielleicht schmilzt dann mein Herz dahin und wird verschwinden. Wer weiß. Jetzt schäme ich mich jedenfalls schon dafür in Grund und Boden.“

Er schloss die Augen, damit sie seine Tränen nicht sah.

„Ich doch auch. Geliebte. Ich doch auch …“

Sie umarmten sich in aller Keuschheit der Kapelle unter Gottes Obhut. Der Handel war perfekt. Er wäre niemals so zustande gekommen, wenn Giuliano noch bei Sinnen wäre. Lorenzo begriff die Größe ihres Opfers und schämte sich noch mehr.

7.

Piccopazienza, ein Kräuterelixier aus den Wäldern der Toskana, berauscht und betäubt, ja beglückt zuweilen. Ein Soldatentrank, der dich im Krieg enthemmt. Sie nahm es nicht. Sie scheute sich – und hoffte umso inständiger auf die Gnade der Mutter Maria und den militärischen Schutz von Lorenzo. Der Termin stand fest; er rückte immer näher. Die Angst stieg immer höher. Vom Tod bedroht, wird man nicht klüger. Man kann überhaupt nicht mehr denken. Sie wusste nur: Giuliano würde sie verstoßen, wenn er’s wüsste. Hatte Lorenzo sie mit schönen Erklärungen zur Hure statt zu einer Göttin gemacht?

*

Am Tag davor konnte sie vor Beklemmung kaum noch atmen. Sie rettete sich wieder zu Botticelli. Auch er hatte die ganze Nacht nur schlecht geschlafen und stand mit zerstrubbelten Haaren im Schlafrock vor ihr.

„Helft mir!“, bat sie.

„Wobei?“, fragte er.

Ihr Gesicht war jetzt so schön geworden in der Verzweiflung, dass er sofort zu Blatt und Kohle griff. Während er rasch die Züge ihrer Verzweiflung aufs Papier warf, hockte sie sich wie ein Engel auf einen Schemel mitten in seinen angefangenen Versuchen, der Welt einen Spiegel vorzuhalten. Ihr Gesicht bestand nur noch aus Angst und Flehen.

„Was soll ich tun? Warum widerfährt mir das?“

Sie verriet in kurzen Zügen Lorenzos Schlachtplan, bei dem sie selbst geschlachtet werden sollte. Er zeichnete und hörte zu – immer entsetzter; immer fester umschloss seine Faust den Griffel. Bald grub er die Kohlespitze ins Papier hinein. Er brannte vor Mitleid und Empörung und spürte doch: Nur so malt man – aus einer Erregung heraus, die einen unmittelbar ins Geschehen hineinversetzt. Er spürte ihre Angst. Er fürchtete Alfonso genauso intensiv. Ihre Panik wuchs auf dem Papier. Und Simonetta wurde immer schöner. So außer sich, so ehrlich, wirkte sie, als bestünde sie nur noch aus Gefühlen.

„Dann flieht für eine Weile!“, schlug er vor.

„Wohin? Ich würde Lorenzo und Florenz verraten und … und könnte nie mehr heimkehren.“

Sind wir nicht alle in die Welt geworfen und suchen ein Zuhause? Er malte ihre Heimatlosigkeit. So irrt der Mensch durchs Leben. Seine Hand flog übers Papier. Ihn packte eine Gier nach Kunst. Er sah die Katastrophe auf sie zurollen und wollte sie total verzweifelt sehen, um aus dieser ungeschminkten Not ihre ganze Schönheit zu ergründen.

„Dann lasst mich Euer Zeuge sein!“

„D…das würdet Ihr für mich tun?“

Und er begriff: sie muss geopfert werden. Das Drama auf den Höhepunkt zu treiben, zu malen, wo andere ihr helfen würden, wäre wie ein Pakt mit dem Teufel – der ein paar Jahrzehnte später als deutsche Volkslegende auch die italienischen Gemüter erregen wird. Tu alles, um der Kunst zu dienen. Abraham war sogar bereit, seinen Sohn zu opfern, um Gottes Gnade zu erringen.

„Erwartet keine Wunder von mir; ich bin kein Held. Aber in höchster Not …“

„Oh bitte, bitte, Botticelli!“, sie war so dankbar und erleichtert, dass er sich schämte, „wenn Ihr in meiner Nähe seid, dann kann’s doch so schlimm gar nicht kommen!“